Furniere

Es gibt ein populäres Vorurteil, das lautet etwa so: »Furniere sind billig und lassen sich industriell verarbeiten, darum sind sie der Tod des Handwerks. Wo früher Türen, Panelen, Vertäfelungen und Möbel solides Tischlereihandwerk erforderten, da schneidet man heute Bäume maschinell zu dünnen Blättern und leimt sie nebeneinander auf große Spanplatten, aus denen man dann alles Mögliche machen kann, solange man sich nicht daran stört, dass das Ergebnis immer gleich stumpf, eckig und unnatürlich seriell aussieht. Dann lieber gleich Kunststoff, das ist ehrlicher!« Dem ist kaum zu widersprechen. Aber es ist höchstens die halbe Wahrheit.

Man kann nämlich noch eine andere Geschichte über Furniere erzählen. Zusammengefasst lautet sie so: Die Arbeit mit Furnier ist für den Holzhandwerker, was für den Dichter die klassische Form ist. Mit Vollholz zu arbeiten bedeutet Freiheit. Hier bin ich, sagt das Material, mach aus mir, was du willst. Darum reizt es nicht nur den Tischler, sondern auch den Künstler zur Schöpfung. Das Furnier dagegen bremst die Kreativität. Wie ein Versmaß. Es geht eben nicht alles, sondern nur, was die Regel erlaubt. Und die Regel bei Furnier lautet: Da ein modernes Messerfurnier kaum einen Millimeter dick ist, lässt es sich nicht skulptural verarbeiten. Denn sobald man anfinge, dem Holz eine Form zu geben, würde man nicht mehr das wegen seiner schönen Maserung gewählte Furnier sehen, sondern das weniger ansehnliche Trägermaterial zum Vorschein kommen. Sieht man von der Möglichkeit ab, Furniere zu biegen (für runde Formen sollte man wirklich nur Vollholz verwenden! Dazu unten mehr), werden Furniere fast immer zu ebenen Brettern verarbeitet, die sich wiederum nur über rechtwinklige Gehrungen zu Körpern verbinden lassen. Man kann machen, was man will – am Ende kommt immer ein Quader heraus. So wie bei einem Sonett immer 14 Zeilen, zwei Quartette und zwei Terzette, herauskommen. Aber wem würde es darum einfallen, die Sonette Shakespeares über, sagen wir, die – sehr guten! – freien Zweizeiler von Otto Waalkes zu stellen?

Zum Bau von Schatullen sind furnierte Hölzer geradezu ideal geeignet. Die Grundform der Schatulle ist der Quader. Mit Schatullen assoziiert man darum, anders als mit runden Dosen, eine eckige Gestalt. Doch auch diese Form gewinnt sehr viel, wenn man sie aus Vollholz baut: Kaum merkliche skulpturale Elemente, wie eine leicht angerundete Kante oder ein zart gewölbter Deckel, geben dem Objekt Tiefe, ohne den geometrischen Charakter zu verleugnen. Eine Furnierschatulle ist dagegen immer ein strenger Quader. Dass aber auch geometrische Strenge hinreißend aussehen kann, wissen wir vom Bauhaus. Aber wenn die Gefahr beim Vollholz im Kitsch – expressive Schnörkel, gedrechselte Wülste, Schnitzereien! – liegt, dann riskiert man beim Furnier immer die Langeweile. Die Maserung kann so schön sein, wie sie will, ein gemaserter Quader allein wird niemanden beeindrucken. Die Kunst besteht also darin, in die gebundene Form einen gewissen Rhythmus zu bringen, sie so dezent mit Ornament zu belegen, dass es nicht überladen wirkt. Entscheiden Sie selbst, ob Sie das bei der abgebildeten Schatulle für gelungen halten. Das Ornament bleibt streng, weil es die Geometrie des Quaders nicht verfälscht. Aber es wirkt allein über farbliche und formale Kontraste innerhalb der Fläche: die schwarze Schlüssellochfassung als rundes, die schwarze Fußleiste als lineares Element im hellen Rechteck.

Doch nicht nur über das Ornament lässt sich Furnier gestalten. Die ideale Furnierschatulle ist ihrem Pendant in Vollholz sogar überlegen. Warum? Weil sie ein Holz verwendet, dessen Maserung flächig optimal zur Geltung kommt. Ein Holz mit einer strengen, technisch anmutenden Maserung. Wie Zebrano. Wir verwenden Zebrano keineswegs, weil es gerade in Mode ist (oder schon gerade nicht mehr? Völlig egal). Sondern weil es gestreift ist und Streifen ein Strukturelement sind, das in der Rundung an Wirkung verliert. Verfolgt man diesen Gedanken weiter, wird man sehen, dass sich gerade an der gebundenen Form lernen lässt, wie wenig sich die Schönheit eines Objekts automatisch aus der Qualität seiner Elemente ergibt. Furnier ist billiger als Vollholz. Zebrano ist ein Modeholz, das einem schnell auf die Nerven gehen kann. Und eine Oberfläche aus Bienenwachs herzustellen ist fast so einfach wie Schuhe zu putzen: Leinöl auftragen, trocknen lassen, Bienenwachs auftragen, trocken polieren, fertig. Verglichen mit Schellack oder gar Urushi ist der Aufwand jedenfalls lächerlich. Und trotzdem ist Bienenwachs hier das Mittel der Wahl. Genau wie die runde Form würde auch optische Tiefe der zweidimensionalen Strenge der Maserung zuwiderlaufen. Das stumpfe, seidene Wachs dagegen betont die Fläche. Außerdem ist es so weich, dass es taktil für das Fehlen von Kurven mehr als entschädigt.

Schließlich gibt es noch eine letzte Herausforderung, der man sich als Schatullenbauer mit der Entscheidung für Furnier stellen muss: dem Unterschied zwischen Außen- und Innenansicht. Öffnet man ein Furnierschatulle, sieht man unweigerlich ein anderes Holz. Aber auch diesen Bruch kann man gestalten, und auch dabei gilt, dass die beste Lösung nicht unbedingt die teuerste ist. Bleiben wir bei unserem Beispiel. Wie beim Bienenwachs als Oberfläche, so ist auch die Entscheidung für ein Multiplexholz als Trägermaterial eine ästhetische Entscheidung. Geölt, dunkelt es nach, so dass in der Schnittfläche ein Streifenmuster sichtbar wird, das mit der Zebranomaserung aufs Schönste harmoniert. Der Materialwechsel wird zwar erkannt, aber nicht als Bruch erfahren, sondern eher als Variation einer Struktur.

Apropos Klassik. Sie werden sich vielleicht fragen, warum das letzte Bild ausgerechnet eine Violine zeigt, also den Inbegriff eines skulpturalen Vollholzprodukts von allerfeinster Güte. Nun, weil der Unterschied, auf den es mir ankommt, gar nicht der zwischen Vollholz und Furnier ist, sondern zwischen freier und gebundener Form. Und was könnte einen Handwerker mehr binden als der Zweck eines Instruments? Alles hat sich der Schönheit des Klangs unterzuordnen, und doch ist es Andrea Amati im 17. Jahrhundert gelungen, diesem höchst anspruchsvollen Zweck, der ihm technisch alles abverlangte und seine künstlerische Freiheit auf ein Minimum einschränkte, eine Form zu geben, die bis heute nicht nur klanglich konkurrenzlos ist, sondern auch als zeitlos schön empfunden wird.